Hintergründe zu Female Genital Mutilation (Weibliche Genitalverstümmlung)
Eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen ist die weibliche Genitalverstümmelung (FGM). Weltweit leben ca. 170 Millionen Mädchen und Frauen, die an ihren Genitalien verstümmelt wurden. Jedes Jahr werden erneut ca. drei Millionen Mädchen Opfer dieser Praktik: das sind 8.000 Mädchen jeden Tag, alle 10 Sekunden eines. Sie leiden ein Leben lang an den körperlichen und seelischen Verletzungen, viele sterben daran. Dort wo FGM praktiziert wird, ist die weltweit höchste Rate der Mütter- und Kindersterblichkeit zu verzeichnen.

Verbreitung von FGM
Genitalverstümmelung ist in 28 afrikanischen Ländern, auf der arabischen Halbinsel (Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Jemen) und in Asien (Indonesien, Malaysia, Indien) und Europa verbreitet. Neueren Berichten der NGO WADI zufolge sind auch in Kurdistan und im Irak Frauen von FGM betroffen.

Begründungen
Es gibt verschiedenste Begründungen, die zur Rechtfertigung dieser Praktik angebracht werden. Sie variieren von einer ethnischen Gruppe zur anderen regional, beruhen zumeist auf Mythen und Überlieferungen, der Unkenntnis biologischer und medizinischer Fakten oder dem falsch interpretierten Islam. „FGM ist ritualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, sagt Maria Nareku. unsere Projektpartnerin in Kenia.

Typen Weiblicher Genitalverstümmelung
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung handelt es sich um Eingriffe an den äußeren weiblichen Genitalien.

Typ I: Fast ausnahmslos wird die Klitoris zum Teil oder vollständig amputiert (Klitoridektomie).

Typ II: Bei der Exzision werden über eine teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris hinaus auch die inneren Labien (Schamlippen) zum Teil oder komplett herausgeschnitten. Es kommt vor, dass zusätzlich Haut und Gewebe aus der Vagina ausgeschabt werden (Introcision).

Typ III: In etwa 15 Prozent aller Fälle werden außerdem die äußeren Labien teilamputiert und über der Vagina so miteinander vernäht, dass lediglich eine reiskorngroße Öffnung für Urin und Menstruationsblut verbleibt (Infibulation). Diese als schwerste Form bezeichneter Typ III ist vorwiegend in Ostafrika verbreitet. In Somalia (so auch bei den in Kenia lebenden Somali) sind über 95% der Frauen infibuliert.

Typ IV: sind Mischformen (Ätzungen, Ritzungen, Schabungen teilweise ohne Vernähen u.s.w.), die nicht den ersten drei Typen zugeordnet werden können.


Folgen der Genitalverstümmelung

Die Verstümmelungen können bei Mädchen und Frauen lebenslang zu körperlichen, seelischen und sexuellen Problemen führen. Beeinträchtigungen der Lebensqualität und der Tod sind oftmals die Folgen.

Gesundheitliche Folgen:

  • Keloide (Narben,- und Hautwucherungen),
  • hoher Blutverlust und Blutarmut,
  • chronische Schmerzen,
  • bakterielle Infekte,
  • HIV-Übertragung bei der Genitalverstümmelung,
  • Fisteln (innere Verwachsungen) und Inkontinenz (was oft dazu führt, dass die nach Urin riechenden Frauen aus der sozialen Gemeinschaft verstoßen werden oder der Ehemann sie verlässt)
  • Sterilität.

Alle Verstümmelungen können zu Beschwerden beim Wasserlassen, Sexualverkehr und der Menstruation führen (Anstauung von Menstruationsblut bis in den Gebärmutterbereich und Infektionen sind häufige Konsequenzen). FGM stellt ein erhebliches Geburtsrisiko für Mutter und Kind dar. Der Geburtsvorgang ist verzögert, da das undehnbare Narbengewebe oft verhindert, dass sich der Geburtskanal weitet. Häufig leiden die Babys während der verzögerten Geburt an Sauerstoffmangel. Deshalb ist auch die Müttersterblichkeit und Kindersterblichkeit in den subsaharischen Ländern, in denen FGM praktiziert wird, die höchste weltweit.

Psychische Probleme
Darüber hinaus können durch FGM auch psychische Wunden entstehen, u.a. berichten unsere Aktivistinnen von Schlaf-, Ess- und Konzentrationsstörungen und Depressionen bis hin zum Suizid der Betroffenen. Viele Frauen leiden an ihrem Trauma aufgrund der extremen Tabuisierung des Themas. Erst die Aufklärung und Mitarbeit in einer Frauengruppe schafft ein Forum, in dem sie langsam Vertrauen finden und z.B. für ihre Töchter Menschenrechte und Bildungsprojekte einfordern.

Akifra e.V. hat die Erfahrung gemacht, dass Traumaarbeit dann erfolgreich ist, wenn sich die Frauen aus der inaktiven Opferrolle in eine aktive Helferrolle begeben, die sowohl ein Vergeben (der Großmüttergeneration) als auch ein Schützen (der Töchtergeneration) möglich macht. Der Zusammenhang zwischen FGM und einer Unterprivilegierung dieser Frauen und Mädchen, die als Ware und Eigentum der Großfamilie betrachtet werden, ist in vielen Studien nachgewiesen worden. (Vgl. dazu Literatur u.a. von Fran Hosken, Nahid Toubia, Terre des Femmes, (I)NTACT, Behane Ras-Work/Inter African Commitee against Harmful traditional Practices, Efua Dorekenoo/WHO, Olayinka Koso-Thomas ).

FGM in den Projektregionen von Akifra e.V.
Akifra e.V. arbeitet in zwei verschiedenen Projektregionen Kenias (Kasigau und Taveta) mit verschiedenen ethnischen Gruppen (u.a. Somali, Taveta, Taita, Kamba, Wariangulu, Massai…) zusammen. In beiden Projektregionen von Akifra e.V., gibt es alle vier verschiedenen Formen der weiblichen Genitalverstümmelung. Weil unter somalischen Flüchtlingen die Infibulation weit verbreitet ist, sind auch diese Mädchen in Kenia bedroht, verstümmelt zu werden.

FGM in Deutschland
Die Verstümmelungen finden ebenfalls in Europa und in Deutschland statt. In Deutschland leben ca. 60 000 potentiell betroffene und bedrohte Migrantinnen: Mädchen können von in Deutschland lebenden Ärzten oder während eines Ferienaufenthalts in ihrem Heimatland verstümmelt werden, ohne dass die Mädchen davor geschützt werden. Deshalb ist es Akifra e.V. wichtig, sich auch für den Schutz bedrohter Mädchen in Deutschland und Europa einzusetzen.

“Aufgeklärt und geredet wurde genug. Ich rufe alle Politiker auf, … endlich konsequent gegen dieses Verbrechen vorzugehen. Bisher habe ich von vielen bloß salbungsvolle Worte und halbherzige Initiativen gehört. In Europa leben mehr als 500.000 Frauen, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden sind und jedes Jahr sind zehn Tausende Mädchen in den Ferien massiv gefährdet. Wenn die europäischen Staaten wollen, wären sie in der Lage zumindest die Mädchen, die hier in Europa leben, vor Genitalverstümmelung zu beschützen…“ FGM hat nichts mit Tradition, Kultur oder Religion zu tun. Es ist die zynischste Form von Kindesmissbrauch.“
Waris Dirie (somalisches Supermodel, UNICEF-Sonderbotschafterin).

Akifra e.V betreibt in Deutschland Aufklärung in Universitäten, Schulen, auf Sozialämtern, an der Uniklinik und kooperiert mit Richtern und JuristInnen. Es ist wichtig, dass sich alle eventuell mit FGM konfrontierten Zielgruppen auch in Deutschland differenziert mit dem Thema auseinandersetzen, d.h. auch die Terminologie und Bedrohung kennen und dass PolitikerInnen, RichterInnen u.s.w. auf ihre Pflicht hingewiesen werden, diese Zielgruppe zu schützen.
Voyeurismus in den Medien oder Exotisierung afrikanischer Praktiken schüren Rassismus, verhindern Annäherung und damit eine Beendigung dieser Gewaltform. Das Projekt „Desert Flower Dresden“ von Akifra e.V. unterstützt seit 2017 auch speziell in Dresden von FGM betroffene Frauen und Mädchen, führt Aufklärungsarbeit und Sensibilisierungsmaßnahmen durch.

Zum internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung stellte Bundesfrauenministerin Franziska Giffey 2021 einen Schutzbrief vor, der Mädchen vor Genitalverstümmelung schützen soll. Der Schutzbrief informiert über die Strafbarkeit (bis zu 15 Jahre Haft) in Deutschland, auch wenn die weibliche Genitalverstümmelung im Ausland vorgenommen wird. Weiterhin wird über den möglichen Verlust des Aufenthaltstitels informiert. Der offizielle Schutzbrief soll starke und überzeugende Argumente gegen den gesellschaftlichen und familiären Druck in den Herkunftsländern geben.

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